GNF - Bedrohter See des Jahres 2010
 

Bedrohter See des Jahres 2010: Pulicat See in Indien

 

Der Pulicat See liegt ca. 60 km nördlich der Millionenmetropole Chennai und ist der zweitgrößte Brackwassersee in Indien. Er ist ca. 60 km lang und hat eine Fläche von 254 km². Während der Monsunregenzeit misst die Oberfläche des Sees ca. 450 km².  Der südliche Teil des Sees wird vom Bezirk Tiruvallur in Tamil Nadu und der nördliche Teil, der etwa 60 % beträgt, vom Bezirk Nellore im Bundesstaat Andhra Pradesh verwaltet. Der See ist im Süden durch einen etwa 20 Meter breiten Wasserstreifen mit dem Golf von Bengalen verbunden und verläuft parallel zum Meer. Getrennt wird der See von einer schmalen Sandbank, was ihn zu einer Lagune macht.

Fischfang am Pulicat See ist Chance und Risiko

Die tropische Lagune misst unterschiedliche Salzgehalte, Temperaturen, hat sandigen bis schlammigen Boden, und beherbergt eine Vielzahl an Pflanzen- und Zooplanktonarten, Mikro- und Makroflora von verschiedenen einheimischen Arten. Durch seine morphologischen Merkmale und seinen Salzgehalt ist der Pulicat See eine wichtige Laichzone für Fische und andere Meerestiere.

Die Menschen am Pulicat See leben seit Generationen vom Fischfang, der aufgrund eines traditionellen Management Systems geregelt ist. „Padu“ baut auf internen Verhaltensregeln auf, nach denen die Fischergemeinden gleiche Fangerträge erzielen und der See vor Überfischung geschützt werden soll. Allerdings wird die Zahl der Menschen, die im See fischen, immer größer und das System immer wackeliger.

Determiniert durch die indische Kastenzugehörigkeit gibt es am Pulicat See ca. 30.000 traditionelle Berufsfischer. Fehler in der Landwirtschaft und eine wachsende Bevölkerung führten dazu, dass Landwirte und Tagelöhner in den vergangenen Jahren ebenfalls den Fischfang ausübten und so mittlerweile von 50.000 Fischern am See gesprochen wird. Übernutzung und zunehmende Konflikte innerhalb des „Padu“-Systems sind die Folge. Die vermehrte Ansiedlung von Garnelenzuchtfarmen belasten die Konflikte und das Ökosystem des Sees zusätzlich.

 

Probleme am Pulicat See

Seit dem strukturellen Anpassungsprogramm und der Liberalisierungpolitik der Regierung hat die Industrialisierung in der Region rasant zugenommen. Einhergehend mit einer steigenden Bevölkerungszahl und kulturellen Gewohnheiten ist das Ökosystem des Pulicat Sees zunehmend bedroht und mit ihm sind ungefähr 120.000 Menschen, die vom See und dem Meer abhängig sind, gefährdet.

 

Die Hauptprobleme in und am Pulicat See sind vielfältig:

 

1.    Verlust von Mangrovenwäldern durch breitflächige Abholzung

Der Pulicat See hatte einst eine gute Abdeckung mit Mangroven, heute sind die meisten Pflanzen vernichtet worden oder verschwunden. Durch die finanzielle Unterstützung des Bundesamtes für Naturschutz werden nun 25.000 Bäume in zwei Jahren gepflanzt. Die vom dichten Wurzelwerk der Mangroven geschützten Wasserzonen bieten den Larven und Jungtieren zahlreicher Fischarten ideale Lebensbedingungen.

 

2.     Starke Schlammbildung und Erosion

Unbeständige Bewegungen des Wassers und der Schlammformation an der Mündung, zum Meer beeinträchtigen den optimalen Salzgehalt. Der Pulicat See ist in den vergangenen Jahren stark geschrumpft. Das ist vor allem auf die Verschlammung aufgrund heftiger Monsunfälle zurückzuführen. Die Verschlammung von Gewässern führt zu einer Reduzierung der Artenvielfalt und der Vegetation am Boden. Der Austausch von See- und Meerwasser nimmt ab, was sich wiederrum auf die Fischgründe auswirkt.

Ferner führt der Bau eines künstlichen Hafens am südlichen Ende des Sees zu Küstenerosion. Die Erosion bedroht den schmalen Sandstreifen, der den See vom Meer trennt.

 

3.    Nicht nachhaltige Fischerei und Zusammenbruch der traditionellen Fischereimethode „Padu”

Der Pulicat See ist seit jeher Hauptzentrum für Fischerei. In den 70er Jahren wurden die Fänge aus dem See erstmals auch auf internationalen Märkten verkauft. Der See verfügt vor allem über Garnelen und Langostinos, die einen hohen Exportwert haben. Andere wichtige Fangsorten sind Krabben, Meeräsche, Wels, Austern, Hummer und Muscheln. Die Anzahl der Fischer sowie die Nutzung nicht nachhaltiger Fischereimethoden (Einsatz von Motorbooten und nicht konventionelle Netzen) stiegen und führten in den vergangenen Jahren zu einer starken Reduzierung der Fischerträge. Ferner vermehrten sich Konflikte zwischen den Fischergruppen um die Nutzungsrechte.

 

4.    Fehler in der Landwirtschaft

Durch die Einleitung von Salzwasser auf landwirtschaftlich genutzten Flächen wird die Ernte zerstört. Nicht-Fischer sind gezwungen, alternative Einkommensmöglichkeiten im Fischfang zu suchen. Die landwirtschaftlichen Methoden, vor allem der Kleinbauern, müssen analysiert und verbessert werden, damit die Landwirte wieder zu ihrem traditionellen Beruf zurückkehren und der See entlastet wird. Zudem fehlt ein verständlicher Lageplan für die Wiederaufnahme von Landwirtschaft und Viehzucht für die Gemeinden der Nicht-Fischer.

 

5.    Ungereinigte Abwässer

Abwässer von Industrien, Aquafarmen, umliegenden Dörfern und Prozesswasser von Kraftwerken, die in den See fließen, beeinträchtigen Fisch und Mensch

Die drei schmalen Flüsse Swarnamukhi, Kalangi und Arni fließen in den See. Über die Flüsse Arani und Kalangi gelangen Düngemittel und Pestizideinträge mit den Abwässern der Landwirtschaft in den See. Ungeklärte Haushaltsabwässer und Abwässer der zahlreichen Fischbetriebe belasten den See zusätzlich. Übernutzung, Missmanagement und nicht gereinigte industrielle Abwässer von mehr als 25 Industrien aus der Nahe gelegenen Millionenstadt Chennai stellen eine enorme Herausforderung für das ökologische Gleichgewicht des Ökosystems dar.

Wissenschaftler der Universität Madras untersuchen in einer Studie aus dem Jahr 2007 zwei Fischsorten aus dem Pulicat See. Dabei entdecken sie extrem hohe Werte an Eisen und Blei.

Die Zahl der Motorboote im See steigt ebenfalls an und führen durch Ölverschmutzungen zu einer zusätzlichen Belastung des Sees.

 

6.    Keine lokalen wissenschaftlichen Überwachungsmechanismen

Bisher gibt es keine wissenschaftlichen Studien über durchführbare alternative und nachhaltige Methoden, die den Fischergemeinden neue Perspektiven eröffnen. Auch fehlen Programme zur Rehabilitierung der Biodiversität am See.

 

7.    Fehlen von dauerhaften Koordinierungsbemühungen zwischen Staat, wissenschaftlichen Organisationen, lokalen NGOs und Fischergemeinden

Das unzureichende Wassermanagement muss dauerhaft verbessert werden. Dafür müssen sich alle relevanten Interessensgruppen zusammenschließen, um die Probleme zu analysieren und gemeinsame Lösungen zur Rettung des Sees zu finden. Das Fehlen einer gemeinsamen Linie führt dazu, dass bisher kein adäquates Management des Sees etabliert werden konnte.

 

Lösungen zur Rettung des Pulicat Sees

Der GNF und seine Partnerorganisation CReNIEO (Centre for Research on New International Economic Order) starteten im Sommer 2009 ein Projekt zur Wiederherstellung der Artenvielfalt am Pulicat See in Tamil Nadu durch das Anpflanzen von Mangrovenwäldern. Dadurch kann nicht nur die Artenvielfalt wiederhergestellt werden, auch wird die wichtigste Einkommensquelle der Bevölkerung – der Fischfang – gesichert. Um die lokale Bevölkerung in diesen Prozess einzubinden, beinhaltet das Projekt Umweltbildungsmaßnahmen, die sich speziell an Frauengruppen richten. Die Frauen erlernen Methoden zum Züchten und Pflanzen von Mangroven, was sie in der Folge praktisch umsetzen.

Hintergrund

Am 2. Februar, dem Tag zum Schutz der Feuchtgebiete, ernennt der Global Nature Fund seit fünf Jahren den „Bedrohten See des Jahres“, um auf die weltweite Zerstörung der Seen aufmerksam zu machen. Der Pulicat See bietet mit seinen über 160 Fischarten sowie über 110 verschiedene Arten von Land- und Wasservögeln eine einzigartige biologische Vielfalt. Allein bis zu 15.000 Flamingos besuchen den See jährlich auf ihrem Vogelzug.

 Eine Frau bringt ihren Fischfang zum Markt.
 Die Zahl der Fischer nahm in den letzten Jahren stark zu.
 Mangrovenkeimlinge
 Im Pulicat See sind viele Meerestiere mit hohem Exportwert.
 Landwirtschaft und Viehzucht müssen verbessert werden.
 Mangrovenpflanze mit ihrem dichten Wurzelwerk.
 Frauen der Selbsthilfegruppe werden ausgebildet.

Indien ist ein Land der Extreme. Ein paar Kilometer nördlich von der Pulicat Lagune entfernt auf der Insel Sriharikota befindet sich die indische Raumfahrtbehörde. Im vergangenen Jahr startete ein indisches Raumschiff, um die Oberfläche des Mondes zu untersuchen. Dabei wurden Wasservorkommen entdeckt. Währenddessen haben die Menschen in den nahegelegenen Dörfern kein sauberes Trinkwasser und leben am Rande des Existenzminimums. So geht es der Mehrheit des Landes. Indien wird oft als wirtschaftlich aufstrebendes Land bezeichnet. Tatsächlich leben ca. 70 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze.

 

Stand: 25.03.2010  

 

Weitere Informationen über den Pulicat See auf der GNF-Website.